
Ein Manifestchen
Henri Lefebvre schätzt in seinem Recht auf Stadt (1969) das Dorf noch für seine Ursprünglichkeit, als ein Œuvre im Sinne des Gebrauchswertes. Doch das urbane Gewebe hat sich mittlerweile auf das Land ausgeweitet und unsere Gesellschaft vollständig urbanisiert. Das zeigt sich am Beispiel von Badisch Sibirien im Nordosten Baden-Württembergs, wo die wirtschaftliche Anbindung an überregionale und globale Zusammenhänge und die zunehmende soziokulturelle Ausrichtung auf umliegende Oberzentren einen Zustand fortgeschrittener sozialräumlicher Entfremdung bedingen.
„Ausgestorbene Ortskerne und verfallendes Fachwerk kontrastiert mit Doppel-Daimlern vor WDVS-Tempeln, eine unheilvolle Verbindung aus sozialräumlicher Entfremdung und wirtschaftlichem Funktionalismus befeuert Zersiedelung und Indifferenz.“ (Birk/Feller/Struller 2023: 12)
Die wachstumsorientierte Planung bietet für dieses Problem kaum Perspektiven. Doch der Mangel an wirtschaftlichem Entwicklungsdruck kann auch als Freiraum verstanden werden, als Möglichkeit, frei von ökonomischer Vereinnahmung solidarische Lösungen für ungestillte Bedürfnisse zu entwickeln.
Auf Basis einer Lefebvrianischen Analysemethodik entlang der Parameter Zentralität, Unterschiedlichkeit und Aneignung und systemischen sowie planerischen Ansätzen einer Postwachstumsökonomie wurden im Rahmen dieser Arbeit vier konkrete entscheidungssystematische Interventionen für Gemeinden im strukturschwachen Raum entwickelt. Aus deren Reflexion entstand daraufhin ein grundsätzlich veränderter Ansatz für planerisches Handeln zur Ermöglichung des Rechts auf Dorf in Form von zehn Forderungen an Planer*innen und Politik.
Im Kern dieser Forderungen steht der Auftrag an Planer*innen, kontinuierliche Vakuen innerhalb sozioökonomischer Bedingungszusammenhänge zu öffnen und offenzuhalten – innerhalb derer Menschen auf Basis ihrer eigenen Bedürfnisse und Initiative aktiv werden können, ohne dass allgemeine systemische Bedingungen dem im Wege stehen.
Veröffentlichungen: Birk, Lisa; Feller, Michael; Struller, Martin (2023): Das Recht auf Dorf: ein Manifestchen. online verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.18419/opus-1346
Birk, Lisa/Feller, Michael/Struller, Martin (2024). Recht auf Dorf. Ein Manifestchen. In: Michael Mießner/Matthias Naumann/Ulrike Grabski-Kieron/Annett Steinführer/Werner Nell/Marc Weiland/, Ländliche Utopien (347-360). Bielefeld: transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839472330-026
Mitwirkende
Studierende: Lisa Birk, Michael Feller, Martin Struller
Betreut durch: Prof. Dr. Laura Calbet, Dr. Tino Buchholz
Entwurf: Wintersemester 2022/23 Recht auf Dorf