Nachruf Dr. Ursula Grammel (1943 – 2023)

26. Mai 2023

Am 26. Mai 2023 verstarb unsere ehemalige Kollegin, Frau Regierungsbaumeisterin Dr. Ursula Grammel, in Ravensburg in ihrem 80. Lebensjahr. Frau Grammel war dem Städtebau-Institut und seinem Kollegium fast über die ganze Dauer ihres Berufslebens und auch noch viele Jahre nach Eintritt in den Ruhestand 2004 auf das Engste verbunden.  

Nach einer Bauzeichnerlehre und ersten Berufserfahrungen in einem Architekturbüro in ihrer Heimatstadt Tailfingen (heute Ortsteil von Albstadt) studierte sie Architektur an der Staatsbauschule in Stuttgart, der heutigen Hochschule für Technik. Auf den Abschluss folgten vier Jahre Assistenz bei ihrem akademischen Lehrer Paul Stohrer, einem der profiliertesten und renommiertesten Architekten der ersten Nachkriegsjahrzehnte im Südwesten. Danach absolvierte sie ein Aufbaustudium an unserer Fakultät, an der sie 1973 diplomierte. Direkt nach dem Diplom arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Städtebau-Institut in Forschungsprojekten bei den damals neu berufenen Professoren Egbert Kossak und Michael Trieb. In dieser Zeit war sie unter anderem beteiligt am Grundlagenwerk „Stadtgestaltungspolitik – Aufgaben, Instrumente, Strategien“, dem Forschungsschwerpunkt von Michael Trieb, der dieses Themenfeld in Deutschland seinerzeit mitbegründete. Es folgten das Städtebau-Referendariat beim baden-württembergischen Innenministerium und eine mehrjährige freiberufliche Tätigkeit als Stadtplanerin in Singen/Hohentwiel, begleitet von Lehraufträgen am Fachgebiet Städtebau und Gebäudelehre an der Fachhochschule Biberach. 

Nachdem sie weitere praktische Erfahrungen als Architektin und Stadtplanerin bei der STEG Stadtentwicklung GmbH in Stuttgart gesammelt hatte, kehrte Ursula Grammel im Jahre 1992 an das Städtebau-Institut zurück zum Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen und arbeitete dort mit Professor Klaus Humpert und nach dessen Ausscheiden 1994 mit Professor Franz Pesch zusammen. Mit ihrer Fachkompetenz und ihrer strukturierten Arbeitsweise hat sie erfolgreich an vielen Lehrveranstaltungen mitgewirkt. Vor allem in Erinnerung geblieben sind uns Entwurfsprojekte mit besonderer Geschichte – etwa das Projekt zum Seebad Prora auf der Insel Rügen, einem Zeugnis nationalsozialistischer Politik. In der Betreuung wie auch im kollegialen Dialog schätzten Studierende wie Mitarbeitende ihren Rat, wenn sie ihnen – erfahren in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie  –  Wege zur Realisierung ihrer Berufswünsche aufzeigte. 

Als Leiterin unserer großen Institutsbibliothek übernahm Ursula Grammel eine zentrale Rolle bei der Gründung der Fakultätsbibliothek, wie wir sie heute kennen. Hierzu wurden die Institutsbibliotheken zusammengeführt – ein Kraftakt bei 16 beteiligten Instituten. Als erste Leiterin der Fakultätsbibliothek hat sie sich bleibende Verdienste auch für unsere Fakultät erworben. 

Ihre besondere Liebe zu Büchern und zur städtebaulichen Forschung zeigte sich in ihrer engagierten Mitwirkung an den Publikationen des Instituts. Mit ihrer Redaktionsarbeit an den ersten Ausgaben der „Lehrbausteine Städtebau“ hatte sie wesentlichen Anteil am nachhaltigen Erfolg dieses Vademecums. Im Ruhestand erfüllte sie sich noch einen langgehegten Wunsch und promovierte bei Professor Arno Lederer über ihren ersten akademischen Lehrer Paul Stohrer, dessen Archiv sie auswerten konnte. Sie portraitiert ihn als einen Stuttgarter Architekten der Nachkriegszeit, der fast in Vergessenheit geraten wäre, weil er jenseits der architektonischen Zeitströmungen einen eigenen Weg gesucht hat. Ihre weithin geschätzte Monographie „Paul Stohrer : Architekt in der Zeit des Wirtschaftswunders“ – 2012 in der Edition Axel Menges erschienen – schließt eine Lücke in der jüngeren deutschen Architektur- und Zeitgeschichte. 

Dank ihres großen, langjährigen Engagements in der Lehre, im Bibliothekswesen und in der städtebaulichen Forschung hat sich Ursula Grammel einen ausgezeichneten Ruf an der Fakultät erworben. Ursula Grammel hat das Profil des Städtebau-Instituts entscheidend mitgeprägt. Wir haben ihr viel zu verdanken. Das Team des Städtebau-Instituts trauert um eine großartige Kollegin und einen überaus liebenswürdigen Menschen. Wir werden sie sehr vermissen.

Für das Städtebau-Institut
Prof. em. Dr. Johann Jessen und Prof. em. Dr. Franz Pesch
Stuttgart, 14. Juni 2023

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